Sonntag, 25. Mai 2014

Von Maiglöckchen und Riesen-Klonen

Hier hat wieder jemand seine Gartenabfälle entsorgt: Aus dem schon ange-
trockneten Wurzelhaufen herausgerissener Maiglöckchen rette ich ein paar
Pflänzchen für unseren Garten.
"Marion, möchtest Du Maiglöckchen haben?" Eine Arbeitskollegin fragte mich das, nachdem sie in ihrem Garten, aus dem ich schon einige Ableger bekommen hatte, mal wieder aufgeräumt hatte. Ich nicke begeistert. Sie warnt mich: "Du weißt, dass die sich vermehren wie verrückt?" Darüber hatte ich mir bislang keine Gedanken gemacht, aber wenn ich an die dichten Maiglöckchenteppiche in Buchenwäldern denke, dann liegt das eigentlich nah. Ich nahm die Maiglöckchen, die mitten in der Blüte standen, trotzdem und ich war froh, sie trotz des ungünstigen Umpflanzzeitpunkts gut über den Sommer bekommen zu haben. In diesem Jahr haben sie wieder geblüht, ein kleiner Maiglöckchenfleck unter unserer Kastanie.
Heute stieß ich ganz unvermittelt wieder auf Maiglöckchen. Und das im "Taglilien-Wald". So nenne ich einen Waldabschnitt, indem sich aus abgeladenen Gartenabfällen ein schöner Bestand zwischen Kiefern, Eichen und Birken entwickelt hat. Sie könnten jetzt blühen, dachte ich. Wir fuhren langsam mit unseren Rädern, schließlich stieg ich ab und machte mich zu Fuß auf die Suche im Unterholz. Keine einzige Taglilie fand ich, dafür Vergissmeinnicht, Akeleien, Buntnessel, rotlaubige Haselnüsse – und Maiglöckchen auf einem verwickelten Haufen. Als ich das Wurzelgeflecht auseinanderklaubte, wurde mir klar, dass diese Pflanze das Zeug zum Wuchern hat. Ich nahm trotzdem ordentlich viel mit, habe für solche Zwecke immer eine Plastiktüte in der Hosentasche.
Gerade gestern hatte ich in dem Buch "Das kleine Buch der botanischen Wunder" über das Maiglöckchen (Convallaria majalis) gelesen. Diese Pflanze bildet nach der Blüte zwar rote Beeren, in denen sicher auch Samen stecken (ich habe noch nicht nachgeschaut), aber vornehmlich vermehrt sie sich über Wurzelausläufer. Es kann also sein, dass ein viele Quadratmeter großer Maiglöckchenteppich zwar aus lauter Einzelpflanzen besteht, diese aber alle genetisch identisch sind – eine Art Riesen-Klon also. Damit stellte sich die Frage,  so las ich in dem Büchlein, ob es sich bei dem einzelnen Maiglöckchen um ein Individuum handelt, da es doch so viele völlig gleichartige Schwestern hat. Jetzt bin ich schlauer: Botaniker sprechen vom genetischen Individuum und bezeichnen damit die Gesamtheit des Klons und vom Teilindividuum, also der Einzelpflanze, die ich jetzt mitgenommen habe und die in irgendeinem Garten, wahrscheinlich nicht weit von ihr, ihren genetischen Ursprung hat und genauso ist wie die Mutterpflanze, die sie hervorgebracht hat. Interessant wäre jetzt noch, ob die "Teilindividuen", die ich von meiner Arbeitskollegin geschenkt bekommen habe, genetisch identisch sind mit meinem Fund aus dem Wald.
Wie auch immer: Bei beiden handelt es sich um Maiglöckchen und von mir aus dürfen sie sich fleißig weiterklonen. 

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